Das Eudiometer bei Tintern

Das Eudiometer bei Tintern

Autor: Tim Fulford

Lage: Wye Valley/The Royal Institution

Beschreibung: Im Jahr 1800 unternahm ein Mann, von Wordsworths visionären Gedichten inspiriert, einen Ausflug nach Tintern Abbey. Er war in Bristol ansässig, mit Coleridge und Southey befreundet und war gerade damit beschäftigt, Lyrical Ballads für die Druckpresse aufzubereiten; er schrieb auch selbst Naturgedichte. Seine Anstellung war jedoch nicht als Dichter, sondern als naturwissenschaftlicher Forscher, und auf seinem Abstecher zum River Wye war er ausgestattet mit einem Eudiometer – dem besten Instrument, um den Anteil an Sauerstoff, jenem von Joseph Priestley zum ersten Mal isolierten Gas, in der Atmosphäre zu messen. „Das Eudiometer“, schrieb er, „das ich in der letzten Zeit verwendet habe, ist sehr einfach und bequem – Es besteht aus einer ungefähr 5 Zoll langen Röhre, die 200 Gran Wasser enthält – Der Bereich zwischen den 140 & 180 Gran ist mit einer Skala versehen. – Diese Röhre wird in einer Atmosphäre, deren Zusammensetzung man erfahren will, geleert und in eine Lösung aus Eisenmuriat oder -sulfat getaucht, die mit Stickoxid imprägniert ist.“ (1) Sein Name war Humphry Davy…

…und noch bevor er seine Heimatregion Cornwall verließ, war er in eine Denkweise eingeführt worden, welche die experimentelle und dichterische Erforschung der Natur gleich hoch schätzte. 1797 bis 1798 verbrachte Gregory Watt, der Sohn des Ingenieurs und Chemieforschers James Watt, den Winter an der kornischen Küste, wo die frische Luft seinen schwindsüchtigen Lungen guttat. Er ermutigte den jugendlichen Davy, Experimente zu entwerfen und in seinen Notizbüchern aufzuzeichnen; in diesen teilten sich seine frühen Erforschungen von Luft, Hitze und Licht die Seiten mit dichterischen Beschwörungen seiner ekstatischen Reaktionen auf Sonne, Sand und Wind. Auf Watts Empfehlung hin wurde Davy als Assistent am neuen Bristoler „Pneumatischen Institut“ angestellt, wo er mit seinen naturwissenschaftlichen Schriften seinen Arbeitgeber Thomas Beddoes beeindruckte und mit seinen Gedichten Southeys Bewunderung errang. 1799 waren mit ihrer Hilfe seine Texte in beiden Bereichen veröffentlicht worden; er hatte auch ein intensives Programm an pneumatischen Experimenten – an sich selbst und an Bristoler Intellektuellen – begonnen, von denen er sich versprach, die formgebende und heilende Wirkung von Gasen auf Körper, Gehirn und Verstand zu demonstrieren.

Der Ausflug nach Tintern war sein neuester Versuch – ein Feldversuch, um die Atmosphäre des Flusstals zu prüfen, das Wordsworth mit seinen sanften Brisen gewiegt hatte:

Until, the breath of this corporeal frame,
And even the motion of our human blood
Almost suspended, we are laid asleep
In body, and become a living soul:
While with an eye made quiet by the power
Of harmony, and the deep power of joy,
We see into the life of things.

(Bis der Atem leiblicher Gestalt
Und gar das Rinnen unsres Menschenbluts
Halten beinah; wir sind in Schlaf versetzt
Im Körper und werden zur lebend’gen Seele:
Während ein Auge, ruhig durch die Macht
Der Harmonie und durch des Glückes Kraft,
Hineinschaut in das Leben der Dinge.)

(„Lines Composed a Few Miles above Tintern Abbey“, Zeile 44-50)

Davy wollte sehen, was Wordsworth gesehen hatte. In einem Brief beschreibt er seinen Ausflug: „Es war unsere Absicht, Tintern Abbey bei Mondschein zu sehen; und sie wurde vollkommen erreicht. […] wir betrachteten drei Stunden lang alle Variationen von Licht & Schatten, welche uns ein heller Vollmond & ein blauer Himmel in dieser prachtvollen Ruine zeigen konnten; und drei Tage lang durchstreiften wir die farbigen Wälder & Felsen rund um den Fluss bei Monmouth & Chepstow.“ (2) Auf solche Art zu sehen – und über das Sehen zu schreiben – bedeutet, inspiriert zu sein. Doch Inspiration war mehr als eine Metapher. Davys Instrumente machten es möglich, sie zu überprüfen. Das Eudiometer sollte offenbaren, in welchem Ausmaß die Inspiration, welche das Einatmen der Luft aus dem Wye-Tal verlieh, über eine materielle Grundlage verfügte: Die Heilkraft der Natur zur Erneuerung körperlicher und geistiger Kraft wurde wirklich eingeatmet. Davys Messinstrument war somit ein durch und durch romantisches Ding: Das Eudiometer versprach, die chemische und physiologische Gültigkeit der dichterischen Metapher nachzuweisen und die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur als Teil der „Wirtschaft der Pflanzenwelt“ (eine Beschreibung von Sauerstoff und Photosynthese, die Beddoes Mentor und Priestleys Freund Erasmus Darwin verwendete). (3)

Leider war das Messinstrument nicht empfindlich genug, um die besonderen Eigenschaften der sauerstoffreichen Brisen im Wye-Tal nachzuweisen und so die Inspiration auf ihre natürliche Grundlage zurückzuführen (obwohl es der Vorläufer der heutigen Geräte zum Ermitteln der Luftverschmutzung war). Davy hielt fest: „Als wir nach unserer Rückkehr die Luft, die wir in Monmouth, in den Wäldern am Ufer des Wye, & der Mündung des Severn gesammelt hatten, analysierten, war kein Unterschied festzustellen. Ihre Zusammensetzung war in allen Fällen vergleichbar mit der Luft in Bristol, d. h. sie enthielten ungefähr 22 Prozent Sauerstoff – die Luft aus den Blasen von etwas Seetang, der anscheinend gerade bei der alten Überfahrt an Land gespült worden war, gab ebenfalls 22.“ (4) Die Zugabe von Sauerstoff oder des vor noch kürzerer Zeit entdeckten Gases Stickoxid half auch nicht, um Schwindsüchtige zu heilen. Das Eudiometer ist ein schmerzliches Andenken an die optimistischen Hoffnungen der Frühromantik und an deren Enttäuschung. Nie wieder sollten dichterische und wissenschaftliche Experimente sich so nahe kommen wie im Jahr 1800 bei Tintern.

  1. Davy beschrieb sein Instrument und seine Experimente zur Zusammensetzung der Luft in „An Account of a New Eudiometer“, Journal of the Royal Institution, 1 (1802), 45-48.
  2. Brief 28, vom Oktober 1800, in The Collected Letters of Sir Humphry Davy, hrsg. Tim Fulford und Sharon Ruston (Oxford: Oxford University Press, 2020).
  3. Das Eudiometer wurde erfunden von Marsilio Landriani (1751-1815) und wurde 1788 von Horace-Bénédict de Saussure (1740-99) verwendet, um die Zusammensetzung der Luft auf einem Alpenpass zu messen. 1802 trug Alexander von Humboldt (1769-1859) ein Exemplar fast bis zum Gipfel des Chimborazo in den Anden, um die Zusammensetzung der Luft bei einer noch größeren Höhendifferenz zu messen.
  4. Zum Eudiometer und den Experimenten von Davys Vorgängern Henry Cavendish (1731-1810) und Claude Louis Berthollet (1748-1822) siehe Simon Schaffer, „Measuring Virtue: Eudiometry, Enlightenment, and Pneumatic Science“, in The Medical Enlightenment of the Eighteenth Century, hrsg. Andrew Cunningham und Roger French (Cambridge, 1990), S. 281-318.

Datum: 1800

Thema: Humphry Davy

Medienrechte: Henry Cavendish’s Eudiometer. Aus den Collections of the Royal Institution. Bild reproduziert mit Genehmigung der Royal Institution.

Objekttyp: Wissenschaftliches Instrument

Format: Glas, Metall

Edition: Collections of the Royal Institution.